Odysseus und die Sirenen

Illustration: Odysseus und die Sirenen 1
Die Männer ruderten aus Leibeskräften. Das Wachs in ihren Ohren verstopfte ihre Gehörgänge und
hielt so jeden Laut von ihrem Geist und ihren Seelen fern. Das Schiff kam dank gutem Wellengang
schnell vorwärts. Ich nahm ihre besorgten Blicke wahr, mit denen sie mich insgeheim beobachteten.
Sobald sich unsere Augen trafen, wandten sie ihre Blicke ab von mir und schauten leer aufs weite
Meer hinaus.
Doch ich hatte nur eines im Sinn: Den Gesang der Sirenen zu hören, die doch schon unzählige
Seefahrer ins Verderben gestürzt hatten.
So stand ich festgebunden am Mast, wie ich es befohlen hatte und ich würde der erste und einzige
sein, der je ihren Gesängen lauschen und davon erzählen konnte. Außer dem Rauschen des Meeres,
dem gleichmäßigen Ruderschlag der Männer und dem Kreischen der Möwen war nichts zu hören.
In der Ferne entdeckte ich endlich die schwarzen Felsen, die Felsen der Sirenen.
Ich lauschte eine Ewigkeit in angespannter Erwartung geradezu in nervöse Erregung verfallen, was
mich nun als einzig Hörender erwarten würde. Ich spürte wie die Männer ihre bohrenden Blicke auf
mich richteten, voll des Neides blickten sie zu mir auf, das spürte ich tief in meinem Inneren und
wusste doch genau, dass sie eben dieses wahre Gefühl vor mir verbergen wollten, denn immer wenn
ich einen ansah, wandte er seinen Blick ab.
Es war mir als rauschten die Wogen des Meeres nur für mich. Immer lauter wurde das Getöse. Jedes
Geräusch, das Wogen des Meeres, die Ruderschläge. Alles hörte ich so deutlich, langsamer und
lauter als je zuvor. Ich nahm alles, jede winzige sich ständig verändernde Kleinigkeit genau wahr. Hier
eine Lichtreflektion, gleich wieder Schatten dort.
Ich fühlte mich plötzlich so einsam, wie noch nie zuvor in meinem Leben und mir wurde bewusst,
dass ich der einsamste Mensch der Welt war. Das Blau des Meeres in endlosen verzerrten
Spiegelflächen gebrochen bis hin zum weiten Horizont gespannt und ich hier am Mast gefesselt in
einer im Vergleich dazu winzigen Nussschale.
Mich überkam eine tiefe Trauer, so fern der Heimat den Mächten der Natur und den Göttern
ausgeliefert zu sein. Ich fühlte mich so verlassen hier an dem Mast meines Schiffes festgebunden. In
dieser düsteren Stimmung gefangen verharrte ich in meiner selbstgewählten Position.
Die neidvollen Blicke der Männer veränderten sich zu einem Starren auf mich und sie wandten ihren
Blick nun nicht einmal mehr ab von mir.
Es wehte eine kühler Wind, doch mir trieb es Schweiß auf den Rücken.
So trieben wir eine Ewigkeit, schweigend auf dem endlosen Meer.
An den schwarzen Felsen vorbei und nichts anderes passierte, als dass diese Anspannung mich dem
Wahnsinn näher trieb.
Die Männer starrten mich unverhohlen an, das Meer rauschte.
Ich schloss die Augen um einen Moment Entspannung zu gewinnen und um den Blicke der Männer
nicht mehr ausgesetzt zu sein.
Da sah ich sie – die Sirenen. Vor meinen geschlossenen Augen tanzten sie umher.
Und sie sangen, so überirdisch schön, wie nichts auf der Welt. Unbeschreiblich der Klang ihrer
Stimmen, wunderbar hoch, mehr kann ich nicht über sie sagen, jede Beschreibung träfe nicht die
Mächtigkeit ihres Ausdrucks.
Sie sangen meinen Namen tausendfach und doch nur einmal.
Wie eine Welle das Meer ist und doch nur eine Welle.
Sie sangen mir von den Geheimnissen der Welt, von tausend rätselhaften Dingen und doch wieder
nur von mir.
Auch verrieten sie mir die Gedanken der Männer, sie alle hassten mich aus Neid auf meine Stellung
und meinen Geist, ihre Treue war nur ein vorgekaugeltes Trugbild. Ein Zeugnis ihrer Niedertracht. Insgeheim planten sie doch schon lange mich zu stürzen. Verschworen waren sie gegen mich.
Das alles verrieten sie mir. Sie erzählten mir vom Lug der Götter, der doch bare Wahrheit war.
Sie erzählten mir vom Anfang und von Ende und ich wusste in diesem Moment ihres Gesanges alles
was je jemand von der Welt wissen konnte.
Sie sangen mir von Intrigen gegen mich, sie alle hatten sich gegen mich verschworen. Würden sie
mich losbinden so müsste ich sie töten, bevor sie mich töteten.
Wenn sie mich losbänden und wenn ich es schaffte mich gegen ihre Übermacht zu behaupten.
Die Größe der Geheimnisse, die die mir in ihren Gesänge verrieten, überwältigte mich und ich fiel in
einen traumlosen Schlaf
Als ich erwachte, stand die Sonne tief am Horizont.
War es Morgen oder Abend?
Ich saß an den Mast gelehnt, die Männer ruderten.
Ich war frei. Sie hatten mich losgebunden. Mir kam durch den benebelten Geist die Erinnerung und
die Erkenntnis; ich musste lachen. Da drehten sich die Männer zu mir. Freudig mich bei Kräften zu
sehen.
Die Sirenen dachte ich, Scheiss auf die Sirenen!
Illustration

Odysseus und die Sirenen

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Comments

Matze_malt |         

Geschriebenes und Gemaltes - aus einem Gussexcellent.gif
Und das Urteil des Ostrakismos: »Sche.... drauf ...!«
(Scherben drauf ... auf die Sirenen - selbst auf die rechts so inbrünstig singende)

Flymon |         

>Stark sein Junge ( Odysseus ), stark sein! wink.gifblow.gif

antonreiser |         

Gefällt mir sehr gut. Schöne lockere und ironische Zeichnung mit der Anmutung der griechischen Keramikmalerei.
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